Hass darf nicht das letzte Wort sein

von Rudi Schroeder

Hass darf nicht das letzte Wort sein

Zahlreiche Aachenerinnen und Aachen haben sich in der Citykirche versammelt, um der Opfer der grausamen Hamas-Anschläge am 7. Oktober 2023 zu gedenken.

„Nie mehr ist jetzt“: Dieser Leitgedanke hat in der Aachener Citykirche die Gedenkfeier am zweiten Jahrestag des Hamas-Überfalls geprägt. Erinnern, Mahnen, Gedenken – zwei Stunden lang standen die Opfer des terroristischen Massakers vom 7. Oktober 2023 im Mittelpunkt einer Veranstaltung, die nachhaltig nachdenklich stimmte: durch unmissverständlich klare Redebeiträge, die allesamt den zunehmenden Antisemitismus geißelten, das Wegducken vor seiner Macht kritisierten und zugleich die aufkeimende Hoffnung auf Frieden zwischen Israel, den Palästinensern und den Nachbarstaaten nährten.

Gedacht wurde nicht allein der überfallenen, getöteten, verwundeten, vergewaltigten oder in Geiselhaft genommenen Israelis, sondern auch der nach wie vor leidenden Zivilbevölkerung im Gazastreifen. Eine weitere Essenz: Kritik an der israelischen Regierung und dem Vorgehen Netanjahus sei durchaus erlaubt, hieß es. Aber dass man fest an der Seite der „jüdischen Brüder und Schwestern“ stehe, sei keine Frage und unverhandelbar.

Leitgedanke zwei war der Ausspruch der Holocaust-Überlebenden und Zeitzeugin Margot Friedländer, die im Mai dieses Jahres im Alter von 103 Jahren verstarb: „Es gibt kein christliches, kein muslimisches und kein jüdisches Blut.“ Und schließlich der dritte Leitgedanke, auch als Forderung formuliert: „Die Entführung unschuldiger Zivilisten ist ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Lasst die Geiseln frei, und lasst sie nach Hause kommen.“

Fast 200 Menschen nahmen an der diskret, aber gut gesicherten Gedenkfeier teil, die von der Deutsch-Israelischen Gesellschaft Aachen organisiert wurde, unterstützt durch die Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit, das Gedenkbuchprojekt für die Opfer der Shoa aus Aachen und die Jüdische Gemeinde.

Bei dem Überfall der Hamas im Herbst 2023 verloren 1200 Israelis, darunter 800 Zivilisten, ihr Leben, mehr als 4800 wurden zum Teil schwer verletzt, 250 verschleppt und als Geiseln genommen, 48 von ihnen sind nach wie vor in den Händen der Hamas, wie viele von ihnen noch leben, ist nicht bekannt.

Als Hauptredner der Gedenkfeier bezeichnete der Aachener Marc Neugröschel, Soziologe und promovierter Antisemitismusforscher, den Überfall der radikalislamistischen Hamas unter anderem auf den grenznahen Kibbuz Nir Oz und das Supernova-Festival als den „furchtbarsten Terrorangriff auf Israel überhaupt“. Diese Attacken müssten als antisemitische Angriffe auf Juden mit dem Ziel ihrer Vernichtung und der Zerstörung des Staates Israel gewertet werden: „Bis zu 4000 Raketen wurden von der Hamas abgefeuert, 6000 palästinensische Soldaten drangen ins Land ein, Kibbuze wurden überfallen, Hunderte Menschen eines Festivals brutal ermordet, vergewaltigt oder verschleppt.“ Neugröschel berichtete von dokumentierten Gräueltaten, von einem kleinen Kind, das sich unter dem Leichnam seiner Mutter vor den rasenden Mördern versteckte, von einem Telefongespräch eines Hamas-Terroristen, das vom israelischen Geheimdienst aufgenommen wurde und in dem der Kämpfer voller Stolz seinem Vater berichtet, wie er soeben zehn Juden getötet habe.

Bei vielen Pro-Palästina-Aktivisten, so Neugröschel, zähle das alles nicht, auch in Aachen werde durch sie Stimmung gemacht, zur Stunde finde, nur eine Fußminute von der Citykirche entfernt, vor dem Rathaus eine solche Demonstration statt, bei der vor allem Hass geschürt werde. Neugröschel betonte: „Es ist kein Ding der Unmöglichkeit, über palästinensisches Leid, Elend und auch Ungerechtigkeit im Nahostkonflikt zu berichten, ohne Invektive, antijudaistische Bilder und antisemitische Klischees zu benutzen.“ Die humanitäre Lage in Gaza sei verheerend: Die Menschen dort verdienten unser Mitgefühl. Indes hoffe man auch vor dem Hintergrund der aktuellen Bemühungen um Frieden auf eine Freilassung und Rückkehr der Geiseln. Allerdings: „Es ist offen, wie es ihnen gesundheitlich geht und ob sie noch am Leben sind.“

Pfarrer Timotheus Eller hatte in seinen Begrüßungsworten dazu aufgerufen, ein Zeichen der Solidarität zu setzen und Mut zu machen, um zum Frieden und zum Guten finden zu können. Man stehe auf der Seite der jüdischen Bürgerinnen und Bürger, aber: „Wir grenzen uns ab von der israelischen Regierung und natürlich von der Hamas...“

Die Vorsitzende der Deutsch-Israelischen Gesellschaft Aachen (DIG), Elisabeth Paul, sagte: „Wir dürfen diesen Tag, den 7. Oktober 2023, nie vergessen. Es war ein Angriff auf alle Juden weltweit. Die Botschaft der Hamas lautet: ,Ihr werdet nie sicher sein.‘ Der Holocaust begann mit Wegsehen, Feigheit und Opportunismus. Viele schauen weg, wenn Jüdinnen und Juden bedroht werden, wenn der antisemitische Hass auch auf unseren Straßen tobt.“ Dennoch gebe es Hoffnung: Das 20-Punkte-Programm Trumps sei überraschend vernünftig und setze auf die Sicherung Israels und palästinensischer Existenz in einer freiheitlich-demokratischen Ordnung.

Wir müssen den heutigen Antisemitismus benennen:  Er kommt von rechts, von links, von muslimischer Seite und auch aus der Mitte der Gesellschaft.
Bettina Offergeld
Gedenkbuchprojekt für die Opfer der Shoa

Hilde Scheidt überbrachte als 1. Bürgermeisterin die Grüße der Stadt. Der 7. Oktober müsse stets daran erinnern, dass wir Menschen sind, die sich nicht wegducken, sondern gegen Antisemitismus aufstehen und vorgehen müssen. Die wöchentlichen Mahnwachen auf dem Münsterplatz zeigten eindrucksvoll: „Nicht in meiner Stadt, nicht in Aachen. Ich hoffe, dass Aachen eine freie und tolerante Stadt wird, in der sich alle Menschen zu Hause fühlen können.“

Für das Gedenkbuchprojekt sagte Bettina Offergeld: „Seit zwei Jahren ist klar, dass der Blick in die Vergangenheit nicht ausreicht. Wir müssen den heutigen Antisemitismus benennen: Er kommt von rechts, von links, von muslimischer Seite und auch aus der Mitte der Gesellschaft.“ Die Mahnwachen bedeuteten auch, dass man sich schützend vor die jüdischen Mitbürger und die Synagogen stelle.

Ruprecht van de Weyer erklärte im Namen der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit: „Free Gaza muss heißen: Free Gaza from Hamas.“ Es sei unfassbar, dass schon ab dem 8. Oktober 2023 der Terror als Akt des Widerstands interpretiert und bejubelt worden sei. Trotz allem: „Hass darf nicht das letzte Wort sein.“ Aus Schmerz und Trauer könne Hoffnung erwachsen, auch indem man den Angehörigen zeige, dass sie nicht allein sind.

Karin Clemens von der DIG verlas zum Ende vor einer Schweigeminute die Namen der 48 Menschen, die als Geiseln auch nach zwei Jahren noch in den Händen der Hamas sind. Immer mehr Menschen in der Citykirche entzündeten Kerzen, Pianist Alexander Jansen spielte gefühlvoll Liszts „Hymne de la nuit“, und der neue Aachener Rabbiner Bryan Weiss sang das traditionelle jüdische Trauergebet Kaddisch für die Opfer des Hamas-Überfalls.

Korrektur vom 20.10.2025

In ihrer Rede hat Bettina Offergeld vom Gedenkbuchprojekt nicht nur den Antisemitismus von rechts, von links und aus der Mitte der Gesellschaft verurteilt, sondern auch den von muslimischer Seite aus. Wir haben das auf ihren Wunsch hin präzisiert.

Korrektur vom 23.10.2025

In seiner Rede hat Marc Neugröschel vom Telefonat eines Hamas-Terroristen berichtet, in dem dieser sich mit dem Mord an zehn Juden brüstet. In einer früheren Version dieses Artikels ist in diesem Kontext von Israelis die Rede. Wir haben dies präzisiert. Ebenfalls korrigiert haben wir ein Zitat, in dem er zwischen berechtigter Kritik am Handeln Israels im Nahostkonflikt und Antisemitismus unterscheidet.

Quelle: Aachener Zeitung, 8.10.2025