Gedenkbuch 2013

Regina Friesem geborene Falkenthin
Wilhelm Friesem

Corinna Broeckmann und Bettina Offergeld, Aachen

Wilhelm Markus Friesem wurde von Verwandten und Freunden Willy genannt und kam ursprünglich aus Burgbrohl im Kreis Ahrweiler. Er wurde dort am 21. November 1889 geboren. Sein Vater war Hermann Friesem (jüdischer Name Chaim ben Mordechai) aus Burgbrohl, geboren am 1. März 1843, und seine Mutter war Henriette (jüdischer Name Esther) Friesem, geborene Marx, geboren am 24. August 1850 in Weinsheim bei Bad Kreuznach.

Wilhelm hatte neun Geschwister: Albert, Moritz, Karl, Julius, Max, Gustav, Klara, Juliana und Elisabeth.

Wilhelm war der siebte Sohn der Familie und „[] erhielt den Namen des Kaisers, denn zu jener Zeit war es Usus, dass Kaiser Wilhelm Gevatterschaft für den siebten Sohn einer Familie übernimmt. Alle Brüder meines Vaters waren Handwerker und Viehhändler und mein Vater war der einzigste welcher ein höheres Studium aufnahm []."

Die Familie Friesem, die ursprünglich aus Friesheim (heute ein Ortsteil von Erftstadt) stammte, war in Burgbrohl alteingesessen und ist schon seit Anfang des 19. Jahrhunderts dort nachgewiesen. In Friesheim konnte der Urahn der Familie Friesheim, Andreas, sogar bereits im frühen 18. Jahrhundert nachgewiesen werden. Die jüdische Gemeinde in Burgbrohl war klein und hatte im 19. Jahrhundert weniger als 30 Mitglieder. Burgbrohl hatte zwar einen kleinen Betsaal, der im ehemaligen Gasthaus „Zum weißen Roß" eingerichtet worden war, doch mussten die wenigen Juden des Dorfes nach Niederzissen in die Synagoge gehen.

Wilhelm Friesem heiratete Regina (genannt „Recha") Falkenthin aus Aachen im April 1914.

Recha wurde am 23. September 1890 in Aachen-Forst geboren und war die Tochter von Ferdinand und Henriette Falkenthin, geborene Hirsch. Recha hatte drei Geschwister: die ältere Schwester Jeanette, geboren am 1. Juli 1888, sowie ihre beiden Brüder Hugo, geboren am 27. November 1892, und Eugen Falkenthin, geboren am 10. Februar 1895.

Ihr Vater Ferdinand war aus Berlin nach Aachen gekommen. In Aachen arbeitete er als Buchhalter in der Gummifabrik der Gebrüder Siegfried und Sally Saul, seinen Cousins, in der Zeppelinstraße 38. Er starb bereits 1907 als Recha gerade 17 Jahre alt war.

Willy Friesem war Kaufmann und arbeitete nach seiner Rückkehr aus dem Ersten Weltkrieg als Betriebsleiter bei der AGEFKO (Allgemeine Gesellschaft für Kohlensäure) und als Vertreter. Recha war Verkäuferin von Beruf. Ihr gemeinsamer Sohn Herbert erinnert sich, dass Willy Sozialdemokrat war. Obwohl er Mitglied in der SPD war, empfand sein Sohn Edgar, dass er „[] sehr national eingestellt" war „[] und als Kriegsveteran sein Eisernes Kreuz mit Stolz" trug. „Er verstand sich als Deutscher jüdischen Glaubens und wäre ohne den Antisemitismus sicher in die NSDAP eingetreten."

Während ihr Ehemann im Ersten Weltkrieg kämpfte und an der Front war, wohnte Recha zunächst bei ihrer Mutter in Aachen. Nach dem Krieg wohnte das Ehepaar Friesem offenbar ein paar Jahre in Burgbrohl. Am 8. Januar 1916 wurde der erste Sohn Herbert in Burgbrohl geboren. Vier Jahre später, am 3. Juli 1921, kam Edgar Friesem ebenfalls in Burgbrohl zur Welt.

Im Jahr 1925 zog die Familie in Rechas Geburtsstadt zurück, wo sie in der Martinstraße 2 wohnten. Die Kinder waren im Turnclub 06 aktiv. „Die Beziehungen zu den nichtjüdischen Nachbarn waren immer korrekt, wenn auch keine gesellschaftlichen Kontakte bestanden. Man lebte innerhalb des Milieus, ohne daß dies bis 1933 jemanden störte."

Über das Leben nach 1933 in Aachen schrieb Arieh Eytan anlässlich seines Besuchs in Aachen im Jahr 1992: „Die schlechter werdende Lage ermöglichte es meinen Eltern nicht, auch mich auf Gymnasium zu schicken (mein Bruder war auf der damaligen Hindenburgschule). Ich beendete 1933 die jüdische Volksschule und wurde als Lehrling in die Tuchfabrik Carl Heinemann Nachfolger in der Bachstraße [geschickt,] die nach der Arisierung Thieron & Sohn hieß. Trotz Drucks seitens der Arbeitsfront wurde ich nicht entlassen. Es gelang mir sogar – zweifellos als einem der letzten Juden im ganzen Deutschen Reich – die Prüfung bei der Industrie- und Handelskammer erfolgreich zu bestehen. Mitte 1938 erhielt ich die Einladung ins Neue Kurhaus, um mein Abschlusszeugnis entgegen zu nehmen. Auf der Einladung hieß es unter anderem, dass alle Schüler HJ [Hitler Jugend] Uniform zu tragen haben. Ich ließ mich „krank"-schreiben und mein Chef übersandte das ärztliche Attest an die Handelskammer. Wenige Wochen später erhielt ich die Urkunde mit der Post."

Aus dem Briefwechsel mit Arieh Eytan wissen wir, dass Recha Friesem im Jüdischen Frauenverein mitarbeitete und mit ihren beiden Söhnen Mitglied des Synagogenchors war.

Als sich die finanzielle Lage der Familie verschlechterte und Willy Friesem im Jahr 1930 seine Stellung als Betriebsleiter der Aachener Filiale der AGEFKO verlor, bei der er bereits seit seiner von ihm gewünschten Versetzung im Jahr 1925 beschäftigt war, arbeitete Recha bis zum Jahr 1933 oder 1934 als Kassiererin in der neu gegründeten Filiale EHAPE.

Willy Friesem wurde im Mai 1938 festgenommen und war sieben Wochen im Gefängnis. Der Grund ist uns nicht bekannt.

Herbert war bis zur Arisierung bei Tietz beschäftigt. Dort hatte er im Jahr 1931 als Verkäufer in der Teppich- und Gardinenabteilung begonnen. Nach seiner Entlassung schloss er sich der zionistischen Bewegung an und wurde Jugendleiter in Frankfurt und Würzburg. Am 23. März 1939 wurde er von der zionistischen Bewegung nach England geschickt und meldete sich dort freiwillig zur englischen Armee. Er war an der Invasion in der Normandie beteiligt und war Besatzungsmitglied in Berlin. Er ging von England in die Vereinigten Staaten. 1947 heiratete er Ursula Mellis und hatte mit ihr einen Sohn. Herbert Friesem, der sich später Herbert Fraser nannte, wurde nach dem Krieg Verkäufer und verkaufte in den USA Bodenbeläge. Herbert Fraser starb am 12. April 2001 in Lake Worth in Florida.

Edgar war Zeuge des Synagogenbrandes im November 1938. Im Jahr 1939 ging er nach Berlin zur landwirtschaftlichen Ausbildung, sein Bruder hatte ihn ohne sein Wissen dazu angemeldet. Er verließ Deutschland am 13. Oktober 1939 und fuhr mit einem Schiff von Wien aus bis zum Schwarzen Meer und von dort aus nach Palästina, wo er am 21. Januar ankam und bis Ende des Jahres 1940 interniert blieb. Er änderte seinen Namen in Arieh Eytan und heiratete Miriam Rymer aus Polen. Arieh war einer der Gründer des Kibbuz Gesher und leitete es auch. Zusammen mit seiner Frau Miriam hatte er vier Kinder. Er starb am 19. Oktober 2009 in Israel.

Am Anfang des Jahres 1942 wurden Willy und Recha Friesem aus ihrer Wohnung in der Martinstraße in das Lager Grüner Weg in Aachen gebracht und am 22. März 1942 zunächst nach Izbica in Polen deportiert. Von dort ging es offenbar noch weiter in das nur zwölf Kilometer entfernte Krasnystaw, in dem von 1940 bis 1942 von den Nationalsozialisten ein Ghetto für etwa 4.000 Juden eingerichtet worden war, die später in das Ghetto Izbica (zurück) verschleppt wurden. Willy und Recha Friesem waren 1942 in Krasnystaw in der Flussgasse 3 untergebracht. Sie schrieben einige Postkarten an Verwandte in Aachen. So am 30. Juni 1942: „Freue mich Post von Euch zu erhalten. [] Willy hat vielleicht die Sachen bekommen, die ihr sandtet. Ich bin sehr besorgt, da ich seit acht Wochen nichts von ihm gehört habe. [] Recha." Am 16. August 1942 schreibt sie: „[] Von Willy keine Post. Ob ich mal wieder von ihm höre? Ich habe Angst vor dem Winter, weil es doch sehr kalt wird. Recha". Die letzte Postkarte von Recha Friesem wurde am 31. August 1942 geschrieben. Wahrscheinlich ist sie am folgenden Tag ermordet worden.

Willy Friesem, wurde vermutlich ebenfalls 1942 in Izbica ermordet.

Jeanette, die Schwester von Recha Friesem, überlebte die Shoah. Sie heiratete Karl Unterbein , einen Christen, und hatte mit ihm zwei Kinder: Kurt, geboren 1912, und Käthe, geboren 1916. Sie zogen 1933 nach Vaals in die Niederlande. Eugen Falkenthin , Rechas Bruder, wurde nach Auschwitz deportiert, wo er ermordet wurde.

Rechas Bruder Hugo Falkenthin wurde Kaufmann und zog nach Nordhausen und später nach Halle. Dort arbeitete er als Geschäftsführer. Er heiratete Else Lichtenstein, geboren am 27. Oktober 1894 in Nordhausen, und hatte mit ihr einen Sohn Herbert, geboren am 17. Juli 1923 ebenfalls in Nordhausen. In Halle lebten sie in der Leipziger Straße 14. Sie flohen nach Belgien oder Frankreich, wurden allerdings am 11. August 1942 aus dem Lager Les Milles, in dem sie interniert worden waren, nach Chalons-sur-Saône und dann weiter nach Drancy gebracht. Von dort wurden sie schließlich mit Transport Nr. 19 am 14. August 1942 nach Auschwitz deportiert. Hugo Falkenthins Todesdatum in Auschwitz-Birkenau ist wie das seiner Frau Else mit dem 16. August 1942 angegeben. Der Sohn von Hugo und Else, Rechas und Willys Neffe Herbert wurde am 25. Oktober 1942 in Auschwitz ermordet.

Foto: Edgar und Herbert Friesem im Jahr 1924. Foto privat mit freundlicher Genehmigung von Arieh Eytan.

Brief vom 15.5.1999 von Arieh Eytan (früher Edgar Friesem). http://www.a-h-b.de/AHB/Listen/Burgbrohl.htm (Hinweis von Dr. Joachim Hahn, Plochingen) Informationen von Leo Hoenig, der sich als Nachfahre intensiv mit der Familie Friesem beschäftigt hat. Korrespondenz mit Arieh Eytan. Gedenkblatt von Herbert Friesem, später Herbert Fraser, für seinen Vater bei Yad Vashem. Kuhn, Michael: Und wir waren noch so jung, Aachen 1995, S. 14. http://www.alemannia-judaica.de/burgbrohl_synagoge.htm Aachener Adressbuch 1929, S. 96. Kuhn, a.a.O. Gemeint ist wohl die Deutsche Arbeitsfront (DAF). Kuhn, a.a.O., S. 40. Korrespondenz Gedenkbuchprojekt mit Arieh Eytan. EHAPE (Einheitspreis-Handelsgesellschaft mbH) wurde 1926 von der Leonhard Tietz AG gegründet und 1927 in eine AG umgewandelt. 1937 wurde die EHAPE in „Rheinische Kaufhalle AG" umbenannt. (Vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Kaufhalle_AG) http://resources.ushmm.org/hsv/person_view.php?PersonId=3776279 Leopold Hoenig: Ancestors and Descendants, 2006, S. 456. Korrespondenz mit Arieh Eytan im Auftrag der Stadt Aachen anlässlich des Aachenbesuchs im Jahr 1992 und Korrespondenz Arieh Eytans mit dem Gedenkbuchprojekt Aachen. Ebenda. Gedenkblatt von Herbert Friesem/Fraser für seine Mutter in Yad Vashem. Unklar ist, ob sie dort tatsächlich gemeinsam untergebracht waren, da Recha offenbar von Willy einige Zeit lang nichts gehört hat. Jugendforum des Freundeskreises Christlich-Jüdisches Forum Aachen e.V.: Das Deportationslager am Grünen Weg. S. 9. Jugendforum a.a.O., S. 10. Korrespondenz mit Arieh Eytan (Edgar Friesem). Der Vorname des Ehemanns ist nicht gesichert. Er hieß Karl oder Franz. Vergleiche die Biographie von Eugen Falkenthin in diesem Band. Informationen zu Hugo Falkenthin und seiner Familie: www.gedenkbuch.halle.de