Karl Winter
Von Resi Stollmann, Haaren
Karl Winter, der uns Haarenern als „Der Jüdde Winter“ bekannt war, wurde am 15. Oktober 1895 in Haaren geboren als Sohn von Rosine Winter, geborene Hartog, und Meyer Winter.
Seine Mutter Rosine wurde am 23. November 1860 in Haaren geboren und starb vermutlich eines natürlichen Todes im Juni 1935. Laut Friedhofsverzeichnis des Haarener jüdischen Friedhofs wurde sie dort am 17. Juni 1935 beerdigt. Dabei handelte es sich um die letzte Beerdigung auf diesem Friedhof. Bis zu ihrem Tode lebte sie zusammen mit ihrem Sohn Karl in Haaren auf der Hauptstraße 141, dem heutigen Bürgermeisteramt, in einer angemieteten Wohnung zum Hof hinaus.
Karl war das erste von zwei Kindern. Seine Schwester Golda wurde fünf Jahre später am 30. Juli 1900 geboren. Sie war in erster Ehe mit einem sogenannten Arier mit Nachnamen Josef verheiratet und war daher nicht so sehr in Gefahr. Nach Herrn Josefs Tod heiratete sie einen Herrn Joisten. Sie überlebte das Dritte Reich und starb am 24. Juli 1981. Über ihr Verhältnis zu ihrem Bruder ist mir nichts Näheres bekannt.
Mein eigener Vater Wilhelm Krückel wurde im Jahr 1898 geboren. Er betrieb einen Lumpensortierbetrieb in Aachen. Vermutlich war Karl Winter bei meinem Vater angestellt, vielleicht war er aber auch selbständiger Kaufmann und Geschäftspartner meines Vaters. Im Jahr 1933 war ich zwölf Jahre alt und kann wohl nicht allzuviel über Karl Winter berichten, nur das, was ich mitbekommen habe, wenn er und mein Vater sich unterhielten: dass Karl statt seiner Arbeit immer junge Mädchen im Kopf hatte und oft bei meinem Vater in der Kreide stand. Er kam dann zu meinem Vater und sagte: „Will, Du musst mich nochens Pfennige jevve, sie sönd at wier futt!“ Aber er war kein böser Kerl!
Karl hatte immer neue Freundinnen, aber verheiratet war er nicht. Wer heiratete im Jahr 1933 schon noch einen Juden?! Außerdem, so habe ich es in Erinnerung, war er wohl auch kein Mann von besonderer Schönheit, denn über Karl Winters Aussehen sagte Vater oft: „Du bist vor Hässlichkeit schön.“ Das war eine Äußerung meines Vaters, die ich als Kind immer als unverschämt empfand.
Es war wohl so etwas wie eine Freundschaft zwischen Karl und meinem Vater. Er gehörte, wie man so sagt, bei uns mit zum Inventar: Er fühlte sich einfach wohl bei uns.
Und so sagte Vater dann auch öfters zu Karl: „Mach dat Du futt könst, die maache Dich kapott!“ Aber Karl antwortete ihm immer: „Du bis’ ene Jeck!“ Das sagte er immer, und: „Ich hab doch keinem was getan!“ Woraufhin mein Vater bereits früh sagte: „Da fragen die nicht nach.“ Doch da Karl nicht gehen wollte, standen sie weiterhin oft zusammen und rauchten beide ihre Pfeife.
So lange ich mich erinnern kann, kam Karl Winter jeden Morgen um 9:00 Uhr in die Fabrik. Eines Tages kam er nicht, und da wussten wir was passiert war.
Karl Winter wurde am 08. Dezember 1941 in das Zwangsarbeiterlager Stolberg-Atsch, Rhenaniastaße gebracht. Am 15. Juni 1942 wurde dieses Lager aufgelöst. In den Unterlagen des Meldearchivs Stolberg findet man hinter Karl Winters Namen dieses Datum und die Bemerkung „Nach unbekannt ausgewandert – Ostgebiete.“ Es ist zu vermuten, dass er an diesem Tag zum Aachener Hauptbahnhof gebracht und von dort aus nach Izbica in Polen deportiert wurde. Nachdem er jahrelang als verschollen galt, wurde Karl Winter am 11. Juni 1952 durch das Amtsgericht Aachen für tot erklärt.