Elisabeth Rauch geborene Herzberg
Von Dr. Hartmut Ludwig, Schöneiche
Der jüdische Tuchgroßhändler Gotthold Herzberg (1847-1923) und seine Ehefrau Berta, geborene Meyer (1849-1912), hatten zwei Töchter: Emmy (1874-1943) und Elisabeth (1875-1942). Die Familie wohnte in Aachen, Lothringerstraße 103. Das Haus gehörte ihr bereits zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Die jüdische Gemeinde in Aachen war relativ klein. Viele Juden gehörten zur Oberschicht der Stadt. Als Textilfabrikanten, Tuchgroßhändler, Ärzte und Juristen waren sie in Wirtschaft und Gesellschaft integriert und in der Öffentlichkeit respektiert. Sie saßen auch in der Stadtverordnetenversammlung. Nichtjuden und Juden lebten in weitgehend friedlicher Koexistenz in der Stadt zusammen. Antisemitismus war nur wenig ausgeprägt.
Über die Familie Herzberg sind wir bisher – außer gelegentlichen Hinweisen bei Herbert Lepper - nur unzureichend informiert. Das betrifft vor allem Beruf und Stellung des Vaters in der Stadt und in der Jüdischen Gemeinde, aber auch die schulische und berufliche Entwicklung der beiden Töchter. Die Herzbergs gehörten, nach allem, was wir von ihnen wissen, zum so genannten assimilierten Judentum.
Sie hatten sich an ihre nicht-jüdische, christliche Umwelt weitgehend angepasst. Deshalb überrascht es nicht, dass alle vier aus der Jüdischen Gemeinde austraten. Ein genaues Datum dafür und für die wahrscheinliche Konversion zum Christentum konnte bisher nicht ermittelt werden. Die Tochter Emmy Herzberg heiratete in erster Ehe Herrn Keill und in zweiter Ehe Amtsgerichtsrat Dr. Karl Leopold Brach (1859-1942) aus Saarlouis. Als Jude war er ebenfalls zum Christentum konvertiert.
Elisabeth Herzberg – auch Else oder Elsa genannt – wurde am 23. Oktober 1875 in Aachen geboren und heiratete mit 21 Jahren am 9. September 1897 in Aachen Diplomingenieur Paul t' Serstevens (1868-1912) aus Brüssel. Er war Katholik, während Elisabeth zum Zeitpunkt der Heirat noch mosaischer Konfession war. Über die Zeit in Brüssel ist bisher leider nichts bekannt. Denkbar wäre, dass Elisabeth unter dem Einfluss ihres Ehemanns zum Christentum konvertierte, aber evangelisch getauft wurde. Im April 1912 starb ihre Mutter. Sie soll evangelisch beerdigt worden sein. Nur vier Monate später, am 8. August, starb Elisabeths Ehemann. Nach seinem Tod zog sie wieder nach Aachen zu ihrem Vater in die Lothringerstraße 103.
Etwa vier Jahre später lernte Elisabeth t' Serstevens den ebenfalls verwitweten Oberpfarrer Theodor Rauch (1862-1931) aus Magdeburg kennen. Am 13. Juni 1917 bat er seine vorgesetzte Behörde, das Königliche Konsistorium in Magdeburg, um Erlaubnis (consens) zur Verheiratung: „Wir gedenken uns etwa am 30. d.M. in der Stille trauen zu lassen." Am 30. Juni heirateten beide in Aachen. Als Trauzeugen nahmen ihr Vater, Gotthold Herzberg, und der Kaufmann Jacob Otto Keiler aus Burg bei Magdeburg teil. Von 1917 bis 1931 war Elisabeth Rauch Pfarrfrau der St. Ambrosiusgemeinde in Magdeburg-Sudenburg. Sie wohnten in der Westendstraße 1b. Als ihr Mann am 11. September 1931 im Alter von 68 Jahren starb, schrieb der Gemeindekirchenrat in einem Nachruf: „Unsere Gemeinde trauert um ihn in tiefer Betrübnis und gedenkt seiner in inniger Dankbarkeit. Seit 1905 hat er ihr gedient in treuer Hingabe an sein Amt durch die Verkündigung des Wortes Gottes, durch die Arbeit an der Jugend, durch Fürsorge für die Notleidenden. […] In der Friedenszeit, in der schweren Kriegs- und Nachkriegszeit hat er unermüdlich für das Wohl der Gemeinde gewirkt. In den letzten Jahren hat er für den inneren und äußeren Ausbau der Gemeinde noch Großes leisten dürfen." An der umfangreichen Gemeindearbeit waren damals die Pfarrfrauen besonders beteiligt. Stellung und Achtung Elisabeth Rauchs in der St. Ambrosiusgemeinde werden auch dadurch belegt, dass sie bis in ihr letztes Lebensjahr Verbindung zu Gemeindegliedern hatte, die sie auch immer noch besuchte.
Zweieinhalb Jahre nach dem Tod ihres zweiten Ehemanns zog Elisabeth Rauch am 1. Mai 1934 wieder in ihre Geburtsstadt Aachen. Inzwischen war ihr Vater, Gotthold Herzberg, am 9. Juli 1923 verstorben. Ihre Schwester Emmy Brach lebte mit ihrem zweiten Ehemann in Aachen, Försterstraße 28. Amtsgerichtsrat Dr. Karl Leopold Brach war 1925 in den Ruhestand getreten. Elisabeth Rauch wohnte Krefelder Straße 29. Offiziell gehörte sie zur Christuskirche, deren Pfarrer Wilhelm Eichholz zunächst Mitglied der NSDAP und der Deutschen Christen war. Elisabeth Rauch schloss sich der kleinen Bekenntnisgemeinde Aachens an.
Seit der „Machtübernahme" der Nazis 1933 hatte sich in Aachen vieles verändert. Obwohl ein großer Teil der Bevölkerung die NS-Judenpolitik nicht billigte und sie bis in die NSDAP hinein umstritten blieb, entstand ein Klima der Angst. Vielen fehlte der Mut zur Gegenwehr. Fast 89% der Bewohner waren Katholiken, nur 9,29% Protestanten. Die evangelischen Pfarrer gehörten in der Regel der NSDAP und den „Deutschen Christen" an. Das Presbyterium war deutsch-christlich dominiert. Als Reaktion darauf gründeten aktive Laien im Dezember 1933 einen Gemeindenotbund.
Als im Januar 1934 der Pfarrer der Christuskirche, Karl Friedrich Zahn, zum DC-Reichsjugendpfarrer berufen wurde, beauftragte das Konsistorium Hilfsprediger Karl Förster mit der Vertretung. Am Pfingstsonntag 1934 stellte Förster in der Predigt fest, dass alle Getauften in der Kirche gleichberechtigt wären, das heißt ihre eventuelle jüdische Herkunft keine Rolle spiele. Damit widersprach er einem Grunddogma der Deutschen Christen und löste einen Sturm der Entrüstung aus. Sie forderten seine sofortige Entlassung. Als das Konsistorium ihn abberief, gründete die Opposition im Juli 1934 – neben und gegen die Amtskirche - die Bekenntnisgemeinde. Förster war ihr erster Prediger, der allein von der BK-Gemeinde berufen war und das Konsistorium nicht mehr anerkannte. Aus dem spontanen Zusammenschluss entstand im Laufe der Jahre eine selbstbewusste Gemeinschaft von etwa 200 eingeschriebenen Mitgliedern, die den Angriffen der Deutschen Christen mutig widerstand. Obwohl der Widerspruch gegen die deutsch-christliche Sicht der „Judenfrage" 1934 zur Gründung der BK-Gemeinde geführt hatte, gibt es keine Belege, dass sie sich für ihre verfolgten und entrechteten Glieder jüdischer Herkunft und Juden einsetzte.
Über das Leben von Elisabeth Rauch 1934-1942 ist nur wenig bekannt. Nach den Nürnberger Gesetzen galt sie als „Volljüdin". Als die Pfarrwitwe 1934 wieder nach Aachen zog, wurde sie vielleicht nicht nach ihrer jüdischen Herkunft gefragt. Vielleicht unterließ ein Beamter die Frage absichtlich, um sie zu schützen. Sie hieß Rauch, nicht mehr Herzberg. Mit ihrem Geburtsnamen wäre sie wohl der alten jüdischen Aachener Familie zugeordnet worden. Eher unwahrscheinlich ist, dass sie meinte, als getaufte Christin beträfen sie die Maßnahmen der Nazis zur Entrechtung der Juden nicht. Die NS-Propaganda hämmerte unüberhörbar ein, dass für sie Juden „Juden" blieben, selbst wenn sie getauft waren. Da Elisabeth Rauch nicht mehr im Berufsleben stand und dafür ihre „arische" oder „jüdische" Herkunft nachweisen musste, bewahrte sie das wohl als eine Art Geheimnis und sprach nicht darüber.
Deshalb waren sie und ihre Bekannten wohl so bestürzt, als im Herbst 1941 öffentlich bekannt wurde, dass sie für die Nazis als „Jüdin" galt. Als die Nazis die jüdischen Vermögen erfassten, stand auf einer Liste vom 12. November 1938 auch der Name von Elisabeth Rauch. Nach der Pogromnacht und dem Brand der Synagogen mussten die Juden für die von den Nazis angerichteten Schäden mit ihrem Vermögen „Sühne" leisten. Elisabeth Rauch wird davon nicht verschont worden sein. Ab 1. Januar 1939 mussten alle „Volljuden" ihrem Vornamen den Zwangsnamen „Sara" bzw. „Israel" hinzufügen. Diese Verordnung hat Elisabeth Rauch wahrscheinlich bis 1941 ignoriert und ist damit nicht entdeckt worden. Die Einführung des „Judensterns" ab 15. September 1941 traf Elisabeth Rauch mit voller Wucht, weil sie nun akzeptieren musste, als „Jüdin" öffentlich gekennzeichnet zu sein. Am 1. Dezember 1941 musste sie ihre Wohnung räumen und zu ihrer Schwester Emmy Brach in die Försterstraße 28 ziehen.
In der Bekenntnisgemeinde in Aachen wurde über die Not der Christen jüdischer Herkunft offenbar nicht gesprochen, so dass Elisabeth Rauch auch hier allein stand. Das änderte sich, als der Rheinische Bruderrat im Juli 1940 Paul Langenbruch unmittelbar nach seinem Ersten Examen als Vikar zur Unterstützung von Pfarrer Wilhelm Eichholz in die Bekenntnisgemeinde in Aachen entsandte. Obwohl er bereits zum 1. Mai 1941 zur Wehrmacht einberufen wurde, gewann er in weniger als einem Jahr das Vertrauen vieler Mitglieder der Gemeinde und wurde ihr Seelsorger. Nachdem er Soldat geworden war, korrespondierten sie mit ihm und vertrauten ihm ihre Not und Sorgen an. Er beriet und tröstete sie. Aus einigen dieser Briefe erfahren wir etwas über Elisabeth Rauchs Leben an der Wende von 1941 zu 1942.
Es waren vor allem vier Frauen der Bekenntnisgemeinde, die zu Elisabeth Rauch in dieser für sie so schweren Zeit Verbindung hielten und darüber Pastor Langenbruch berichteten. Am 30. November 1941 schrieb ihm Frau E. Kaulbach: „Hörten Sie schon, daß unsere gute Frau Pastor Rauch nun doch das Schicksal erreicht hat? Zum 1.12. muß sie ihre Wohnung räumen und zu ihrer Schwester ziehen. Ach die Arme ist ganz krank u. dauert uns sehr." Am 2. Dezember berichtete Helene Bopp: „Frau Pfarrer R[auch] läßt Ihnen herzlich für Ihre lb. Zeilen danken. Vorläufig kann sie ihnen nicht antworten. Sie ist in schwerem Kummer, einem Kummer, den sie wohl körperlich u. seelisch nicht überstehen wird. Man hat sie unter das Judengesetz gebracht mit all seinen schrecklichen Folgerungen. […] Sie hat eine wahre Abwehr gegen alles jüdische u. muß nun aus ihrer Wohnung hinaus und in diese Gemeinschaft u. auch den Stern tragen. Darf in keinen Gottesdienst u. ihre Freunde dürfen nicht mehr zu ihr, sonst verfallen sie unter dasselbe Gesetz. Letzteres ist mir ein besonderer Kummer, daß man ihr in ihrem Leid nicht mehr nahe sein darf. Es gibt doch große Härten der Gesetze, Härten gegen die man machtlos ist."
Nach dem Zeugnis beider Frauen machte Elisabeth Rauch die Entdeckung ihrer jüdischen Herkunft „ganz krank", bereitete ihr „schweren Kummer". Nicht die persönlichen Folgen waren dafür der primäre Anlass, sondern Rauchs „wahre Abwehr gegen alles Jüdische", dass sie wieder „in diese Gemeinschaft" mit den Juden, von der sie sich doch durch die Taufe getrennt hatte, zurückversetzt wurde und mit dem „Judenstern" öffentlich stigmatisiert wurde. Obwohl beide Gruppen, Juden und Christen jüdischer Herkunft, von den Nazis in gleicher Weise verfolgt und entrechtet wurden, bestand zwischen beiden offenbar ein fast unüberbrückbarer Gegensatz. Der „Judenstern" isolierte seine Träger. Viele Kirchen verboten Christen, die ihn tragen mussten, weiter am Gottesdienst teilzunehmen. In Aachen war das offenbar auch der Fall. Die Gestapo versuchte offenbar auch, den privaten Verkehr mit den Sternträgern zu unterbinden, indem sie den Frauen drohte, „unter dasselbe Gesetz" zu fallen, das heißt ebenfalls verfolgt und entrechtet zu werden. Für diese Maßnahme bot die Verordnung keinen Anhaltspunkt. Doch die Drohung zeigte Wirkung. Die Besuche bei Elisabeth Rauch wurden weniger, bis sie aus Furcht ganz eingestellt wurden. Und Rauch wagte nicht mehr, auszugehen und mit anderen etwas zu unternehmen.
Am 23. Dezember 1941 schrieb Frau D. Jancke an Langenbruch: „Unsere arme Frau Pastor Rauch wird, wie ich fürchte, das, was man ihr antut, nicht überstehen. Ich war einige Male bei ihr und werde sie auch wieder besuchen […]. Sie ist zu sehr zu bedauern und das Traurige ist, daß man ihr nicht helfen kann." Am 29. Januar 1942 schrieb Frau Th. Dorr an den Pastor: „Unsere Karte vom Kaffeeklatsch haben Sie wohl erhalten? Nur zu schade, daß unsere liebe Frau Rauch nicht unter uns sein konnte, sie kann sich nicht entschließen auszugehen. Einmal habe ich sie besucht, jedoch muß man da auch vorsichtig sein."
Die Besuche der Frauen bei Elisabeth Rauch waren mutig und für sie tröstlich. Doch wie die meisten Deutschen erkannten sie nicht, dass der Rassenwahn der Nazis eine verbrecherische Ideologie war, die man bekämpfen musste, statt sie widerstandslos hinzunehmen. Elisabeth Rauchs Auflehnung dagegen sahen sie als falsch an und meinten, dass sie lernen müsse, ihr Los zu tragen, da Gott sie damit prüfe. Helene Bopp schrieb am 14. Januar 1942 an Langenbruch: „Gott kann u. wird ihr den Gehorsam schenken u. die Stille u. den Frieden. Sie muß sich eben durchringen, wie wir alle, daß man sein Ich aufgibt. Aber das kann eben nur durch Gnade geschehen u. wenn Gottes Stunde da ist. […] Und sonst können wir nur für sie beten. Ich gehe jeden Samstag zu ihr, damit sie ihr Herz ausschütten kann u. dann beten wir zusammen u. lesen ein gutes Lied. Das Schlimme ist, daß sie nicht begreifen will, daß sie eben rassemäßig Volljüdin ist. Dadurch sieht sie in der Handhabung des Gesetzes eine große Ungerechtigkeit." Und am 12. Februar 1942 berichtete sie von ihrem letzten Besuch: „Ihre Schwester [Emmy Brach] u. sie sind als Volljüdinnen erkannt u. müssen alle Folgen des Gesetzes tragen. Die Schwester u. ihr Mann tragen es mit Würde und Ergeb[un]g. Frau R[auch] lehnt sich aber innerl[ich] u. mit allen Kräften dagegen auf u. das erschwert es ihr so sehr. Alle Hinweise helfen da nichts. Ich habe sie treulich besucht, aber eine scharfe Verwarnung von der G[eheimen] St[aats] P[olizei] deswegen erhalten u. darf sie nicht mehr besuchen. Das tut mir furchtbar leid, aber ich darf es nicht. Sie muß sich mit Gottes Hilfe durchringen u. glauben, daß sie Gottes liebstes Kind ist, gerade weil sie so geprüft wird."
Erst im März 1942 erfuhr das Finanzamt in Aachen, dass Elisabeth Rauch „Nichtarierin" war. Da ihr Witwengeld deshalb nicht – wie bisher – nach Gruppe III, sondern nach Gruppe I zu versteuern war, forderte es die Nachzahlung von Lohnsteuer und Sozialausgleichsabgabe in Höhe von 939,50 RM in einer Summe.
Um die Rückzahlung tragbar zu gestalten, wandte sich Elisabeth Rauch an den Evangelischen Gemeindedienst für Innere Mission in Aachen. Durch dessen Vermittlung überwies die Konsistorialkasse in Berlin den Gesamtbetrag und behielt monatlich 80 RM vom Witwengeld, das 280,94 RM betrug, ein.
Am 9. November 1942 teilte die Konsistorialkasse der Finanzabteilung in Magdeburg mit, dass die Hinterbliebenenbezüge Rauchs „für November als unbestellbar zurückgekommen seien, da die Empfängerin nach Theresienstadt verzogen [sic!] sein sollte." Da Rauch „den erfolgten Wohnungswechsel" [sic!] nicht mitgeteilt hat, wurde die Zahlung mit dem 31. Oktober 1942 eingestellt. Von dem von der Konsistorialkasse Berlin an das Finanzamt Aachen überwiesenen Betrag waren noch 539,50 RM offen. Die Finanzabteilung beim Evangelischen Konsistorium in Magdeburg fragte beim Evangelischen Oberkirchenrat in Berlin am 26. Juli 1943 an, wie der Rest zu verrechnen sei. Am 11. August 1943 teilte der Oberkirchenrat mit, dass die Summe ausnahmsweise aus gesamtkirchlichen Mitteln beglichen werden könne. Der Entwurf des Schreibens schließt: „Bei einer etwaigen Wiederaufnahme der Zahlung der Hinterbliebenenbezüge an die Pfarrwitwe Elsa Rauch ist der Steuerbetrag von ihr wieder zu erstatten. Für diesen Fall ist schon jetzt dafür zu sorgen, daß dies nicht übersehen wird." Dieser Schluss ist durchgestrichen. Der Schreiber hatte sich wohl klargemacht, dass Elisabeth Rauchs „Wohnungswechsel", wie die gleichgeschaltete Kirchenbürokratie die Deportation umschrieb, endgültig war.
Am 22. März 1942 begann die Deportation jüdischer Bürger aus der Stadt Aachen. Elisabeth Rauch, Emmy und Dr. Karl Brach wurden am 17. Juni 1942 aus dem Haus Försterstraße zur Sammelstelle Am Grünen Weg abgeholt. In dem Barackenlager mussten sie noch fünf Wochen auf die Deportation warten. Der Transport VII/2 ging am 25. Juli 1942 ab Aachen. Über Düsseldorf kamen die drei zusammen mit 275 Aachener jüdischen Bürgern und Bürgerinnen am 26. Juli 1942 ins Ghetto Theresienstadt. Bereits zweieinhalb Monate später, am 12. Oktober 1942, starb Elisabeth Rauch in Theresienstadt.
Nur zwei Tage später, am 14. Oktober 1942 starb Dr. Karl Brach. Seine Frau Emmy Brach starb am 13. September 1943 ebenfalls in Theresienstadt.
Die Nazis löschten mit dem Leben von Elisabeth Rauch auch die Erinnerung an sie in den Kirchengemeinden in Aachen und in Magdeburg aus.
Elmar Gasten, Aachen in der Zeit der nationalsozialistischen Herrschaft 1933-1944, Frankfurt/Main 1993, 139-153. Nach der Volkszählung im Juni 1933 lebten 1345 Juden in Aachen, das waren 0,82% aller Einwohner. Herbert Lepper, Von der Emanzipation zum Holocaust: die Israelitische Synagogengemeinde zu Aachen, 1801-1942; geschichtliche Darstellung; Bilder – Dokumente – Tabellen – Listen, 2 Bde, Aachen 1994, S. 1516, 1648, 1357. Als Berta Herzberg am 13. April 1912 starb, wurde im Sterberegister des Standesamts Aachen II die Angabe der Religionszugehörigkeit „israelitisch" in „Dissidentin" berichtigt, in: Landesarchiv NRW Abt. Rheinland, Standort Brühl, Personenstandsarchiv, Zweitschrift der Sterberegister des Standesamtes Aachen II, Nr. 84/1912, Mitteilung durch Ulrich Bartels. Der Austritt wird also um 1912 erfolgt sein. Mitteilung von Andreas Lorenz, 18. Juli 2012. Landesarchiv NRW Abt. Rheinland, Standort Brühl, Personenstandsarchiv, Zweitschriften der Heiratsregister des Standesamtes Aachen II, Nr. 70/1897, Mitteilung durch Ulrich Bartels. Über Theodor Rauch vgl. Pfarrerbuch der Kirchenprovinz Sachsen, Bd. 7, Leipzig 2008, S. 54: Theologiestudium, Hauslehrer, kirchliche Ausbildung und Pfarrer in Lichtenrade, Oberwünsch und Zeitz, seit Juni 1905 Oberpfarrer an St. Ambrosius in Magdeburg. Er war in erster Ehe seit 1889 verheiratet mit Fanny Schulze. Über die beiden Töchter aus erster Ehe ist nichts bekannt. Schreiben in der Personalakte Rep. A. Spec. P Nr. R 360 in Archiv und Bibliothek des Konsistoriums Magdeburg. Auszug aus dem Kirchenbuch in Aachen „Aufgebotene und Getraute im Jahre 1917", mitgeteilt durch Christine Alderson. Mitgeteilt durch Ulrich Bartels am 31. Oktober 2012. Magdeburgische Zeitung Nr. 500, 1. Beilage, 13.9.1931, mitgeteilt durch die Leiterin des Stadtarchivs Dr. Maren Ballerstedt. Da das Archiv der Gemeinde zum großen Teil im Zweiten Weltkrieg verbrannte, ist bisher über Elisabeth Rauchs Mitarbeit in der Gemeinde nichts mehr bekannt. Vgl. E. Rauchs Brief an Pastor Paul Langenbruch v. 17.7.1941, Kopie von Pfarrer i.R. Johannes Wever, Aachen. Vgl. zum Folgenden: Johannes Wever, „zum Segen der Gemeinde". Der Beitrag der Bekenntnisgemeinde zur Geschichte der Evangelischen Gemeinde Aachen (1933-1945), Titz-Rödingen 2007, S. 155-161 (Kapitel 9: Elsa Rauch – eine Pfarrwitwe wird als ‚Jüdin' deportiert). Wever erinnerte als erster an Elisabeth Rauch. In anderen einschlägigen Dokumentationen fehlt ihr Name, zum Beispiel bei: Sigrid Lekebusch, Not und Verfolgung der Christen jüdischer Herkunft im Rheinland 1933-1945. Darstellung und Dokumentation, Köln 1995. Besprechung des Buches von J. Wever in: Monatshefte für Ev. Kirchengeschichte des Rheinlands 57 (2008), S. 315-320. Zweitschrift der Sterberegister des Standesamtes Aachen II, Nr. 189/1923, mitgeteilt durch Ulrich Bartels. Vgl. Johannes Wever, „zum Segen der Gemeinde", a.a.O., S. 66ff. Wever zeichnet detailliert den Kirchenkampf in Aachen, das denunziatorische Gegeneinander der Pfarrer, ihren Positionswechsel von den Deutschen Christen zur Bekennenden Kirche und umgekehrt nach. Vgl. Elmar Gasten, Aachen, a.a.O., S. 142ff, S. 276. Vgl. Johannes Wever, „zum Segen der Gemeinde", a.a.O., S. 15ff. Wever verweist auf das Schicksal von Otto Blumenthal, Mathematikprofessor an der Technischen Hochschule in Aachen und langjähriger Gemeindeverordneter, der als Christ jüdischer Herkunft 1939 in die Niederlande emigrierte, ohne dass die Gemeinde davon Kenntnis nahm (S. 20). Glieder der Gemeinde beteiligten sich an der „Arisierung" jüdischen Eigentums und sahen Verfolgung und Entrechtung der Juden als Gegebenheit, die es einfach zu akzeptieren galt. Zur Geschichte von Otto Blumenthal vergleiche auch Gedenkbuch 2008. Vgl. Herbert Lepper, Von der Emanzipation, a.a.O., S. 1648 Nr. 287. Ihr Vermögen wurde mit 33.271,73 RM angegeben. Ebenda, S. 1637 Vermögen von Emmy und Karl Brach. Es ist bisher kein Beleg bekannt, dass sich E. Rauch diesem Zwang beugte und den Zwangsvornamen verwendete. Das änderte sich offenbar im Verkehr mit Ämtern 1942. In der „Todesfallanzeige" des Ghetto Theresienstadt vom 12. Oktober 1942 ist ihr Vorname Elisabeth eingeklammert und durch „Sara" ersetzt worden. Ab April 1941 mussten Aachener Juden ihre Wohnungen räumen und wurden in sog. „Judenhäusern" zusammengepfercht. Eine solche Sammelunterkunft war zum Beispiel das ehemalige Obdachlosenheim Am Grünen Weg. Für so genannte „gemischtrassige Ehepaare" hatte die Gestapo das Wohnhaus von Emmy und Karl Brach in der Försterstraße 28 bestimmt. In diesem Haus durften Brachs nur noch ein Zimmer selber bewohnen. Ab 1. Dezember 1941 mussten sie dieses eine Zimmer auch noch mit Elisabeth Rauch teilen. Vgl. Elmar Gasten, Aachen, a.a.O., S. 151; Johannes Wever, „zum Segen der Gemeinde", a.a.O., S. 156f. Vgl. Johannes Wever, „zum Segen der Gemeinde", a.a.O., S. 86 Anm. 15: Etwa 100 Briefe zwischen Oktober 1940 und Mai 1944 aus dem Nachlass Paul Langenbruchs stellte dessen Witwe Johannes Wever zur ersten Auswertung in seinem Buch zur Verfügung. Zitiert nach Johannes Wever, „zum Segen der Gemeinde", a.a.O., S. 156f. Die Breslauer Stadtvikarin Lic. Katharina Staritz forderte nach Bekanntwerden der Verordnung in einem Rundbrief auf, der Absicht der Isolierung zu widerstehen, Christen, die den „Judenstern" tragen mussten, zum Gottesdienst abzuholen und sich neben sie zu setzen. Sie ist dafür ins KZ Ravensbrück gekommen. Zitiert nach Johannes Wever, „zum Segen der Gemeinde", a.a.O., S. 157. Ebenda, S. 159f. Schreiben der Finanzabteilung beim Ev. Konsistorium der Provinz Sachsen v. 26. Juli 1943 an die Finanzabteilung beim Ev. Oberkirchenrat in Berlin, in: EZA Berlin, 7/1952. Vgl. Archiv und Bibliothek der Kirchenprovinz Sachsen in Magdeburg, Rep. A, Gen., Nr. 1017g (Hinterbliebenen-Zuschuss-Akte der Abteilung IV, 1942-1945), Information von Christina Neuß. Schreiben v. 11.8.1943, in: EZA Berlin, 7/1952. Vgl. Elmar Gasten, Aachen, a.a.O., S. 152. Vgl. Herbert Lepper, Von der Emanzipation, a.a.O., S. 321. Todesfallanzeige des Ghetto Theresienstadt: Als Krankheit ist Oberschenkelhalsbruch, als Todesursache Herzmuskelentartung notiert. Diese Angaben waren in vergleichbaren Fällen oft willkürliche Erfindungen.