Isabella Kaufmann geborene Stern
Von Haita Kaufmann, Aachen
Meine Schwiegermutter Isabella Kaufmann, geborene Stern, wurde am 18. Juli 1881 in Rüdesheim geboren.
Ihr Vater war von Beruf Metzger. Isabella hatte drei Brüder, Julius, Adolf und Max, die in Waldalgesheim lebten. Alle drei Brüder wurden von den Nationalsozialisten ermordet. Isabella heiratete den drei Jahre älteren Leopold Kaufmann, den „Poldes“, aus Kornelimünster kurz nach 1900. Die Familie Kaufmann lebte seit mehr als 500 Jahren in Kornelimünster, in unmittelbarer Nähe des heutigen Kornelius-Marktes. In Kornelimünster gab es seit Jahrhunderten eine im Verhältnis zur Einwohnerzahl recht stattliche jüdische Gemeinde von um die 50 Personen. Das Fest ihrer Hochzeit wurde wahrscheinlich in der Gastwirtschaft mit dem größten Festsaal, dem Haus Giesen am Marktplatz, ausgerichtet, genauso wie später die Bar-Mizwa ihres einzigen Sohnes, meines Ehemannes Max, geboren am 11. Januar im Jahr 1909, der nach dem Bruder meines Schwiegervaters benannt wurde.
Isabella Kaufmann fuhr zu hohen Feiertagen mit dem Zug oder der Straßenbahn nach Aachen zur Synagoge. In Kornelimünster gab es nur einen einfachen Betraum geringer Größe. Alle Feste wurden natürlich in Kornelimünster gefeiert.
Isabella Kaufmann, geborene Stern, trug meist schwarz oder andere dunkle, gedeckte Farben. Die Kaufmanns hatten ein Grammophon zu Hause, und Isabella ging manchmal in Aachen ins Konzert, allerdings ohne ihren Ehemann. Ihr Sohn Max fuhr sie dann mit dem Auto nach Aachen.
In Kornelimünster lebten die Menschen recht einträchtig zusammen, egal, ob sie Juden oder Nicht-Juden waren. Beleg dafür ist der rege Eigentümerwechsel der Häuser im historischen Kern dieses damals sehr frequentierten katholischen Wallfahrtsortes. Der ganze Ort lebte von den Pilgern direkt oder indirekt. Es gab kein Ghetto. Natürlich waren die jüdischen Familien aus Kornelimünster viel zusammen; Isabella Kaufmann und ihr Ehemann machten jedoch unter anderem auch Sonntagsnachmittagsausflüge mit der christlichen Familie A. Wagemann. Isabellas Ehemann war im Ersten Weltkrieg Soldat.
Meine Schwiegereltern hatten den ärmeren Menschen immer etwas abgegeben, und so bekamen sie in der Zeit, als es ihnen schlecht ging, als sie in Aachen auf ihre Deportation warteten, heimlich immer etwas zu essen von den anderen Menschen aus dem Dorf gebracht.
Als ich, ihre Schwiegertochter, ein paar Wochen, nachdem ich ihren Sohn in dem jüdischen Lokal „Schloss“ in der Harscampstraße kennen gelernt hatte, meine zukünftigen Schwiegereltern kennen lernte, waren diese sehr lieb zu mir und außerordentlich froh darüber, dass ein jüdisches Mädchen die Braut ihres einzigen Sohnes war. Für mich waren beide so etwas wie wirkliche Eltern, und ich erinnere mich daran, dass Isabella Kaufmann eine sehr gütige Frau war. Unterhalb des jüdischen Friedhofs hatte sie ein kleines Gärtchen, und im Haus gab es immer einen Hund.
Isabella Kaufmann war zuckerkrank. In ihrem Haushalt wurde immer koscher gekocht. Ich kann mich noch daran erinnern, dass es jede Woche eine köstliche Suppe mit Suppenfleisch und Markklößchen gab, und Freitagabend wurden immer Reibekuchen von rohen Kartoffeln zubereitet. Alle Kornelimünster Kinder jener Zeit waren ganz scharf darauf, bei den jüdischen Familien einige Matzen geschenkt zu bekommen, die zu jüdischen Festen gebacken wurden und sehr lecker waren.
Als Isabellas einziger Sohn einen Tag nach unserer Hochzeit, die am 15. Dezember 1938 nur auf dem Standesamt in Kornelimünster stattfand, schwarz über die Grenze nach Belgien ging und ich wenig später folgte, war dies sehr schlimm für sie und ihren Ehemann. Allerdings lebten beide in dem Glauben, dass uns nun nichts mehr passieren würde, und das machte sie froh. Meine Schwiegermutter Isabella Kaufmann hatte häufig zu ihrem Sohn und mir gesagt: „Wenn jemand geht, dann ihr!“ Ich organisierte zwar jemanden, der meine Schwiegereltern „schwarz“ über die Grenze gebracht hätte, aber meine Schwiegermutter lehnte dies kategorisch ab. Sie sagte: „Nein, das geht nicht gut.“ Und ein paar Wochen später waren sie dann weg.
Meine Schwiegermutter Isabella Kaufmann wurde am 25. März 1941 in das sogenannte Judenhaus Eupener Straße 249 zur Familie Ganz gebracht. Ihre nächste Station der Zwangsumsiedelungen war wahrscheinlich am 18. Juni 1941 die Harscampstraße bei der Familie Herz. Schließlich kamen sie und ihr Mann zum Lager Grüner Weg, und beide wurden von dort aus in den Osten, vermutlich nach Izbica, deportiert.
Ich hatte zwar eine jüdische Mutter, wurde aber protestantisch erzogen und bin erst nach dem Krieg, auch im Andenken an meine Schwiegermutter, ganz traditionell zum jüdischen Glauben übergetreten und habe mich in der damals sehr liberalen Aachener Gemeinde, deren stellvertretender Vorsitzender mein Mann Max Kaufmann etliche Jahre war, gut aufgehoben gefühlt.