Siegfried Jacobi
Von Dr. Hans-Joachim Helbig, Herzogenrath
Dr. Siegfried Jacobi war ein zum evangelischen Glauben konvertierter sogenannter „Halbjude“. Er kam im Jahr 1920 nach Merkstein, um im Ortsteil Streiffeld als Knappschaftsarzt eine Praxis zu führen. Geboren am 12. Dezember 1876 in Insterburg, hatte er Medizin studiert und als Oberstabsarzt am Ersten Weltkrieg teilgenommen, wobei er verwundet wurde.
In Streiffeld begann er seine Tätigkeit in der Adolfstraße 32 (Ecke Adolfstraße/Humboldtstraße), bevor er in das 1927/1928 neu errichtete Gebäude Geilenkirchener Straße 446 wechselte. Im Erdgeschoss dieses Hauses betrieb der Konsumverein Eintracht Würselen eine Filiale. Dr. Jacobi wohnte und praktizierte in fünf Räumen in der ersten Etage.
Dr. Jacobi bekannte sich zum Protestantismus und wurde doch als „jüdischer Mischling“ geführt. Wir nehmen an, dass die Bestimmungen der „Verordnung über die Zulassung von Ärzten bei den Krankenkassen“ vom 22. April 1933 gegen ihn zur Anwendung kamen, weshalb er ab 1933 nur mit einer Ausnahmegenehmigung praktiziert haben dürfte. Im Herbst 1934 wurden Reparaturen im Hause Geilenkirchener Straße 446 geplant, wozu eine Auslagerung der Praxis ins Auge gefasst wurde. Ein Ausweichquartier wurde jedoch nicht gefunden. Jacobi verzichtete stattdessen auf eine weitere ärztliche Tätigkeit und übersiedelte am 1. Juli 1935, inzwischen 58 Jahre alt, nach Aachen in die Försterstraße 9. Somit war Merkstein „judenfrei“ und damit es so bleibe, verhängte der nationalsozialistische Bürgermeister Franz Göbbels im September 1935 auch noch ein Zuzugsverbot für Juden. In der Nachfolge von Dr. Jacobi praktizierte Dr. Schillings vom Knappschaftskrankenhaus Bardenberg in den Räumen Geilenkirchener Straße 446.
In der Zeit seines Aufenthaltes in Aachen erlebte Dr. Jacobi die so genannte „Reichskristallnacht“ am 9. November 1938 mit dem Brand der Aachener Synagoge und im unmittelbaren Zusammenhang damit die Verhaftung von circa 300 Juden aus Aachen Stadt und Land, die in die Konzentrationslager Buchenwald und Sachsenhausen deportiert wurden, den Beginn des Zweiten Weltkrieges am 1. September 1939, den Beginn des Westfeldzuges am 10. Mai 1940, den Einfall in die Sowjetunion am 22. Juni 1941 und verdeckt den Beginn der systematischen Judenvernichtung ab Herbst 1941. Die Beschlüsse der Wannsee-Konferenz vom 20. Januar 1942 waren im Wesentlichen bereits nacheilend.
Das Konzentrationslager Theresienstadt wurde schon am 24. November 1941 von einem Aufbaukommando aus 342 jüdischen Häftlingen als jüdisches Getto errichtet. In der alten Garnisonsstadt unweit von Prag lebten vor der Gettoisierung circa 7.000 Menschen. Am 18. September 1942, dem Tag mit der höchsten Belegung, zählte man 58.497 Gefangene. Die von Reinhard Heydrich beabsichtigte „Dezimierung“, ausgelöst durch Überbelegung, mangelnde Hygiene, unzureichende Ernährung, Krankheiten, Seuchen und fehlende medizinische Versorgung, spiegelt sich in den außergewöhnlich hohen Sterberaten wider. Theresienstadt als Altersgetto ist also trotz der „Wohnsitzverlegungen“ und der „Heimeinkaufsverträge“ eine Mär, die auch durch den Besuch des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz am 23. Juni 1944, des Propagandafilms vom August/September 1944 (Titel: „Der Führer schenkt den Juden eine Stadt“) und der Rettung der dänischen Juden aus Theresienstadt am 13. April 1945 nicht aufrechterhalten werden kann.
Dr. Siegfried Jacobi wurde mit dem dritten und größten Aachener Transport am 25. Juli 1942 nach Theresienstadt deportiert. Dort war er einer von 140.000 Gefangenen und eines der circa 34.000 Todesopfer im Lager. Ungefähr 87.000 Gefangene wurden von Theresienstadt aus in die Vernichtungslager des Ostens gebracht. Dr. Siegfried Jacobi starb am 4. November 1942 in Theresienstadt.